Stille Nacht – heilige Nacht!

Stille Nacht – heilige Nacht !

 
  • Was wäre der heutige Weihnachtsabend für viele von uns ohne unser stimmungsvolles „Stille Nacht, heilige Nacht “? Auf der ganzen Welt ist es bekannt, in mehr als 300 Sprachen wurde es übersetzt und heute Abend wird es von Christen und Nicht-Christen gesungen. Im Salzburgerland, wo es entstanden ist, gibt es eigene „Stille-Nacht-Museen“ und als Urlaubsofferte ein „Stille-Nacht-Erlebnis-Paket“. Für kritische Geister unter unseren Zeitgenossen ist es der Inbegriff der Sentimentalität oder gar des Kitsches mit seinem schwulstigen Text und seiner dahinschmelzenden Melodie.
 
  • Und doch ergreift gerade dieses Lied so viele Menschen. Irgendwie drückt es überhaupt die Stimmung dieser Nacht so wunderbar aus: stille, heilige Nacht.
 
  • Der Zauber dieser Nacht übersetzt sich in Worte, in Musik und damit in Gefühl, drückt so unsere Stimmung aus und facht sie umgekehrt auch weiter an. Wenn das Lied gesungen wird, wenn das „Stille Nacht, heilige Nacht“ erklingt, ist für viele Menschen so etwas wie der Höhepunkt von Weihnachten, ob in der Kirche am Ende des Gottesdienstes oder zu Hause.
 
  • Vielleicht ist da etwas, was wir eben Stille nennen! Vielleicht liegt in der Nacht doch ein Geheimnis, vielleicht ist die Dunkelheit doch mehr als ein schwarzes Loch, vielleicht ist da etwas, was wir eben Stille nennen ! Vielleicht ist das, was Heiligkeit meint, doch gerade in der Nacht, in der Stille der Nacht zu finden. Heiligkeit ist aber das, was eigentlich Gottes ist, das, was Gott umgibt, er wohnt in der Stille. Die Stille ist nicht einfach Geräuschlosigkeit, ist nicht einfach Abwesenheit von Lärm, die Stille ist etwas Eigenes, eine eigene Atmosphäre, ein eigenes Klima. Sie ist nicht greifbar, nicht direkt sichtbar, aber sie umhüllt uns, sie zieht uns in sich hinein. Man kann die Stille hören, man kann sie aber auch gewissermaßen sehen, die Stille des Waldes, die Stille der Nacht, die Stille einer Winterlandschaft, leise rieselt eben der Schnee. Es gibt stille Räume, alte romanische Kirchen etwa. Und umgekehrt, wenn ich am Fernseher den Ton wegdrehe, herrscht noch lange keine Stille im Raum. Wenn Menschen verstummen, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben, entsteht keine Stille, sondern nur Leere.
 
  • Die Stille des Schweigens kann zunächst Angst machen, gerade Kinder empfinden das, sie sind eben noch nicht vernünftig, vielleicht aber auch noch nicht verbildet genug, sie haben noch Organe für uns umgebende Atmosphären. Aber auch wir können uns wieder daran gewöhnen. Am Anfang fühlen wir uns vielleicht auch allein, begegnen uns selbst in der Einsamkeit. Doch wenn wir uns wirklich auf sie einlassen, in der Stille des Gebetes, des Schweigens, der Meditation, der Wanderung, begegnen wir mehr und mehr der großen Stille. Und wenn wir sie gewohnt sind, das heißt, wieder in ihr wohnen, dann fängt sie an zu sprechen. Nicht so, wie wir sonst Worte hören, sondern sie erfüllt uns, sie zieht in uns ein, sie weitet uns innerlich. Die Stille wird erfahren als innere Weite, so steht es schon in der Ordensregel des heiligen Benedikt: „Wer Fortschritte macht im klösterlichen Weg (das heißt, wer sich an die Stille, das Schweigen Gottes gewöhnt hat), dem weitet sich das Herz !“ Die
 
  • Erfahrung der inneren Weite ist die Erfahrung der Stille, und in dieser Erfahrung fangen wir dann an zu hören, die Worte, die aus der Stille kommen und die man nur im Schweigen hören kann, die Worte Gottes. Diese Worte sind anders als die Wortfetzen des Alltags, die Informationsströme des Netzes, die Slogans der Werbung, die flotten Sprüche in der Kneipe. Die Worte Gottes brauchen den Resonanzraum der Weite der Stille, um wirklich in uns erklingen zu können, die Worte Gottes werden im Lärm des Alltags nicht gehört.
 
  • Das Geheimnis Gottes hat etwas mit der Nacht zu tun So sagt es uns dann auch das eigentliche Weihnachtsevangelium, der Prolog des Johannes, das morgen im Festgottesdienst gelesen wird: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Und einige Sätze weiter: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht !“ Der Sohn, der im großen Schweigen Gottes am Herzen des Vaters ruht, er kommt in die Welt in der Stille der Nacht von Betlehem, und er geht dann wieder aus dieser Welt in der Stille der Nacht von Golgotha. Aber dazwischen hat er Kunde gebracht, hat die Worte Gottes gesprochen, für die, die hören wollen, die in der Stille diese Worte in sich erklingen lassen.
 
  • Ist es nicht auffällig, dass die beiden Hauptgottesdienste der Christenheit, die Christmette und die Osternacht, nicht im Lichte des Tages gefeiert werden? Wir tun dies, weil diese Heilsereignisse, die wir da feiern, nach dem Evangelium in der Nacht geschehen sind: Christus wird in der Nacht zu Betlehem geboren – und Christus ersteht auf Golgotha in der Nacht vom Tode. Für andere Ereignisse könnten wir sagen, das war halt zufällig so. In der Heiligen Schrift ist aber nichts zufällig, alles hat dort seine Bedeutung, seinen tieferen Sinn.
 
  • Es verweist wohl darauf, dass das Geheimnis dieses Gottes irgendetwas mit der Nacht zu tun hat. Und so haben alle großen Wege der Gottsuche ihre zentralen Zeiten des Gebetes oder der Meditation in der Nacht, am Abend oder am frühen Morgen vor Sonnenaufgang. Das Geheimnis dieses Gottes hat etwas mit der Nacht zu tun. Im Lichte des Tages sehen wir mit unseren Augen nur die Dinge, die vielleicht irgendwie auf ihn verweisen, aber von ihm selbst fehlt jede Spur im Tageslicht und im Tagesgeschäft. Erst wenn die Dinge dieser Welt, die uns so wichtig scheinen, in der Dunkelheit zurücktreten, tritt seine Gegenwart näher. In der Verborgenheit der dunklen Nacht tritt er näher an uns heran, wenn wir ihn etwas heranlassen, wenn wir nicht wieder gleich die Nacht zum Tage machen, den Abend zum Feierabend, die Nacht zum Nightfever.
 
  • Die Weihnacht lädt uns ein, dass wir aufmerksam werden Gerade die heutige Weihnacht lädt uns ein, die Nacht einmal anders zu begehen als sonst, die Nacht nicht zu vertreiben, sondern sie etwas Nacht sein zu lassen. Für viele mag hierin kein Sinn liegen, die Nacht ist doch nur Abwesenheit des Lichtes, halt einfach Dunkelheit. – Aber das stimmt nicht, die Nacht hat ihren eigenen Charakter. Wenn wir uns ihr ganz aussetzen, spüren wir das, wenn wir vielleicht einmal draußen im Walde in der Nacht sind oder in einer klaren Winternacht. Dann spüren wir, dass Nacht nicht nur fehlendes Tageslicht ist, sondern eine eigene Atmosphäre, einen eigenen Charakter hat, der uns durchdringt, uns hineinzieht.
 
  • Zunächst ist unsere erste Erfahrung vielleicht, mit dem Dichter Werner Bergengruen gesprochen, die „Schwermut unendlicher Abende“, doch dann ist da auch Geborgenheit. Die Nacht birgt etwas in sich, was sie zunächst verbirgt, doch wenn wir es bergen, wird aus der Verborgenheit Geborgenheit, wir fühlen uns geborgen und heimisch in der Nacht, das Geheimnis Gottes ist an uns herangetreten. Dann ist die Nacht zur geweihten, zur Weihnacht geworden, wir haben die Nähe Gottes gespürt, wie es schon damals in Betlehem, bei der Urweihnacht gewesen ist. Während die meisten in Israel geschlafen oder gefeiert haben, sind ein paar aufmerksam geworden auf das Besondere dieser Nacht: die Hirten, die eben Nachtwache hielten draußen auf dem Felde, und die heiligen drei Könige, die eigentlich Magier, Sterndeuter waren, also solche, die in der Nacht achtsam auf die Bewegungen des Sternenhimmels sind.
 
  • Die Weihnacht heute Abend lädt uns ein, dass auch wir aufmerksam werden, dass da doch ein anderes Geheimnis diese Nacht und so unsere ganze Wirklichkeit durchwaltet, das ihr nahe ist, aber doch verborgen, dass sich aber doch finden lässt, sich doch – wenn vielleicht auch zunächst nur flüchtig wie eine Ahnung – zeigt. So hat es uns der Herr ja in der Adventszeit in der Lesung aus dem Propheten Jeremia verheißen: „Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden !“
 

 
 
Dr. Marianus Bieber, Abt des Klosters Niederaltaich
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