Gedanken zum Evangelium

Ein „verpatzter“ Urlaub?

Wie so oft sieht die Wirklichkeit des Urlaubs ganz anders aus als geplant. Vom einsamen Ort nichts übrig. Das völlige Gegenteil tritt ein: statt Alleinsein eine unübersehbare Menschenmenge.

 

Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium

vom 21. Juli 2024

 

„Ruht ein wenig aus!“ Dieses Wort Jesu klingt wie eine Einladung zum Urlaub: endlich ausspannen! Zeit zur Erholung, neue Kräfte sammeln! Am Ende eines Arbeitsjahres, wenn die Ferienzeit kommt, ist das bei vielen der berechtigte Wunsch: einfach ein wenig auszuruhen. Was Jesus vorhat, ist freilich weit von dem entfernt, wie heute meist Urlaub gesehen wird: viele Reisen, ferne Länder, spannende Erlebnisse. Jesus sieht das Ausruhen anders: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind.“ Der Ort, an den er denkt, ist ganz nahe, nur am anderen Ufer des Sees Genesareth. Es dürfte sich um Tagba handeln, bekannt für seine sieben Quellen, eine grüne Oase, mit vielen Bäumen. Ich liebe diesen Ort und habe kostbare Erinnerungen an ihn. Dort, am Seeufer die heilige Messe früh morgens zu feiern, ist ein unvergessliches Erlebnis.

Wie so oft sieht die Wirklichkeit des Urlaubs ganz anders aus als geplant. Vom einsamen Ort nichts übrig. Das völlige Gegenteil tritt ein: statt Alleinsein eine unübersehbare Menschenmenge. Mindestens Fünftausend warten auf Jesus und seine Leute, als ihr Boot am Ufer ankommt. Ich denke beim Lesen dieser kurzen Notiz an die vielen, die im Urlaub das Gegenteil von Ruhe und Erholung erleben. Lang ist die Liste der möglichen Enttäuschungen. Das beginnt schon mit Problemen der Anreise, Stau auf den Straßen, Verspätungen oder gar Ausfälle der Flüge. Endlich ist das Quartier am Urlaubsort erreicht. Am Prospekt hat alles wunderschön ausgesehen. Die Wirklichkeit ist eine Zumutung. Beschwerden helfen nicht. Die Stimmung ist am Boden. Hoffentlich kommt es wenigstens nicht zu Unfällen, Erkrankungen. Auch das Wetter kann den Urlaub verderben.

Ich hätte gerne die Gesichter der Apostel gesehen, als sie feststellen, dass vom einsamen Ort keine Spur stimmt. Die Erfahrung sagt ihnen, dass von Ruhe und Entspannung keine Rede sein kann. Genau das war aber der Grund gewesen, warum Jesus einen „Urlaub“ geplant hatte: „Sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.“ Wer selber Enttäuschungen im Urlaub erlebt hat, kann sich die Gefühlslage der Apostel vorstellen.

Umso eindrucksvoller ist die Haltung Jesu. Er hätte sicher am meisten Ruhe und Erholung gebraucht. Wie kein anderer war er ständig umlagert von Menschen. Alle wollten etwas von ihm, hofften auf Heilung, auf ein persönliches Wort für ihr Leben. Deshalb hatte er seine Apostel ausgeschickt, damit sie seinen Dienst weiterführen. Die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hatten, waren ermutigend. Doch wenn wir uns noch so sehr einsetzen für die anderen, einmal kommt der Moment, wo wir spüren: Genug ist genug! Und dieser Moment war für die Apostel gekommen.

Anders bei Jesus: „Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Mitgefühl, Mitleid, Einfühlung in die Situation der anderen: das bewegt Jesus. Sollte er, ganz menschlich, einen Moment der Enttäuschung gespürt haben, der Blick auf die vielen Menschen war stärker. Alle Müdigkeit ist vergessen. Es geht ihm nicht mehr um seinen „Urlaub“, sondern um die Hoffnung, die Erwartung der anderen. „Und er lehrte sie lange“, denn was sie mehr als alles brauchen, ist die Hoffnung, die von ihm ausgeht. Er vergisst nicht, wie viel Mühe die Menschen auf sich genommen haben, um ihn zu hören und zu sehen.

Ein „verpatzter“ Urlaub? Vielleicht hilft Jesu Vorbild, nicht bei den Enttäuschungen zu bleiben. Es kann daraus eine unerwartete gute Zeit werden.

 

 

 Quelle: Kardinal Christoph Schönborn, Wien
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