Gedanken zum Evangelium Bistum Passau

Künzing - Wallerdorf - Forsthart

Ist unsere Gesellschaft gespalten?

Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit bestimmt immer wieder die Schlagzeilen und sorgt für Diskussionen. Ist unsere Gesellschaft gespalten? „Nein“, lautet die Antwort von Bernhard Kirchgessner, Leiter von Spectrum Kirche Passau, wenn wir gemeinsam für soziale Gerechtigkeit, Solidarität mit Bedürftigen, für Demokratie und Frieden einstehen. Ein Impuls zum 16. November 2025.

Wer nicht arbei­ten will, soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass eini­ge von euch ein unor­dent­li­ches Leben füh­ren und alles Mög­li­che trei­ben, nur nicht arbei­ten. Wir gebie­ten ihnen, in Ruhe ihrer Arbeit nach­zu­ge­hen und ihr eige­nes Brot zu essen.“

Die­se kla­re Ansa­ge fin­det sich nicht etwa in einer Regie­rungs­er­klä­rung von Kanz­ler Merz – die Zwi­schen­ru­fe im Par­la­ment möch­te ich hören! -, nein, sie fin­det sich im zwei­ten Brief des Apos­tels Pau­lus an die Gemein­de in Thes­sa­lo­nich. Pau­lus brand­markt, dass es Leu­te gibt, die arbei­ten könn­ten, dies aber nicht wol­len und anstatt für ihren Lebens­un­ter­halt zu sor­gen, ande­ren auf der Tasche lie­gen. Und damit spricht Pau­lus vor 2000 Jah­ren die Fra­ge nach sozia­ler Gerech­tig­keit und Soli­da­ri­tät an. Genau an die­ser Fra­ge ent­zün­det sich auch heu­te wie­der eine hit­zi­ge poli­ti­sche Dis­kus­si­on, ja, man sagt uns, die­se Fra­ge spal­te unse­re Gesellschaft.

Das lässt mich kri­tisch nach­fra­gen: Ist unse­re Gesell­schaft tat­säch­lich gespal­ten? Laut Umfra­ge von ​Wis­sen­schaft im Dia­log“ sehen dies 77% der reprä­sen­ta­tiv befrag­ten Deut­schen so. 54% behaup­ten sogar, zwei unver­söhn­li­che Lager stün­den sich in unse­rem Land gegen­über. Ist dem wirk­lich so? Inter­es­san­ter­wei­se hat die­sel­be Umfra­ge zuta­ge geför­dert, dass die Bevöl­ke­rung bei wich­ti­gen Fra­gen wie Migra­ti­on, gen­der­ge­rech­te Spra­che und sozia­ler Ungleich­heit in hohem Maße über­ein­stimmt, die Fra­ge nach dem Kli­ma­schutz aus­ge­nom­men. Wie kann man da behaup­ten, unser Land wäre gespalten?

 

 

Ich neh­me wahr, dass gewis­se Medi­en ver­bal über­spit­zen, emo­tio­na­li­sie­ren statt argu­men­tie­ren, die Mei­nung der Redak­ti­on zum Main­stream erhe­ben und jene öffent­lich anpran­gern, die ihrer Ideo­lo­gie nicht fol­gen. Dazu wird eine Empö­rungs­kul­tur ent­facht – den­ken wir nur an die Stadt­bild-Dis­kus­si­on — , die wahr­lich frag­lich ist und in der Tat die Stim­mung im Lan­de anheizt. Soll­te man daher mit der eig­nen Mei­nung nicht lie­ber hin­term Berg hal­ten? Mitnichten!

Für Chris­ten gilt, was Pau­lus im 2. Brief an Timo­theus in Bezug auf das Wort Got­tes schreibt: ​Ver­kün­de das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; wei­se zurecht, tad­le, ermah­ne, in uner­müd­li­cher und gedul­di­ger Beleh­rung“ (2 Tim 4,2). Wir haben das gro­ße Glück, in einer Demo­kra­tie zu leben, in der jeder sich frei äußern, sei­ne Reli­gi­on unge­hin­dert prak­ti­zie­ren kann. Las­sen wir uns also nie­mals den Mund ver­bie­ten und hal­ten wir Wider­spruch aus. Ich sage das gera­de heu­te, am Volks­trau­er­tag, aus vol­ler Überzeugung.

Noch ein­mal: ist unse­re Gesell­schaft gespal­ten? Sie spal­tet sich dann, wenn die sozia­le Balan­ce nicht mehr stimmt und der sozia­le Frie­de gefähr­det ist. Soli­da­ri­tät mit jenen, die aus diver­sen Grün­den nicht arbei­ten kön­nen, steht in unse­rem Sozi­al­staat außer Fra­ge. Kri­tisch wird es dort, wo das sozia­le Auf­fang­netz als Hän­ge­mat­te miss­braucht wird. Las­sen wir uns nicht aus­ein­an­der­di­vi­die­ren! Reden wir mit­ein­an­der, hören wir auf­ein­an­der, ler­nen wir von­ein­an­der. Ste­hen wir gemein­sam für sozia­le Gerech­tig­keit, für Soli­da­ri­tät mit den Bedürf­ti­gen, für Demo­kra­tie und Frie­den ein!

 

Bern­hard Kirch­gess­ner, Lei­ter Spec­trum Kir­che Passau
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