7 biblische Impulse zur Fastenzeit 2022 – “Kehrt um!”
Lassen Sie sich von den 7 Fastenimpulsen durch die Fastenzeit 2022 begleiten! Msgr. Dr. Bernhard Kirchgessner, Leiter des Exerzitien- und Bildungshauses Spectrum Kirche Mariahilf Passau, gibt Ihnen zum Aschermittwoch, den fünf Fastensonntagen und Palmsonntag einen biblischen Impuls mit auf den Weg. Der Titel der Serie: Kehrt um! Wir wünschen Ihnen damit eine gesegnete Fastenzeit 2022!
Impuls zur Karwoche – „Ehe der Hahn dreimal kräht.“ (Lk 22,60)
In diesen Tagen sagen und denken viele: Ob es Kirche künftig gibt oder nicht, ist doch egal. Und wenn sie untergeht, kräht kein Hahn danach. Manchmal braucht es einen Hahnenschrei, der aufschreckt. Ein Hahnenschrei – so hören wir in der Passion an Palmsonntag und Karfreitag – hat Petrus zusammenzucken lassen, als im bewusstwurde, Jesus eben verleugnet zu haben. In diesen Tagen kräht der Hahn auf dem Kirchdach. Er will uns aufschrecken und bewusstmachen, dass Menschen durch Missbrauch unsägliches Leid von Dienern der Kirche zugefügt wurde und diese somit Jesus verleugnet und wie Judas verraten haben.
Wenn diese Form von Kirche nun untergeht, kräht in der Tat kein Hahn danach. Doch die Krise kann zur Chance werden, indem sie uns an den eigentlichen Auftrag des Hühnerhaufens Kirche erinnert: Das Evangelium zu leben und möglichst glaubwürdig zu bezeugen und so den Menschen Zeugnis vom sie liebenden, um sie werbenden Gott zu geben. Wen interessiert das? Ich meine, das müssen die heutigen Menschen unbedingt wissen. Es ihnen zu sagen und durch das Leben zu bezeugen, ist seit der Taufe Aufgabe aller Christinnen und Christen. Es ist folglich nicht egal, ob es künftig Kirche gibt oder nicht, weil es nicht fair wäre, den Menschen diese frohe Botschaft, die schönste, die je vom Himmel aus die Erde erreicht hat, vorzuenthalten. Ja, wir haben die Botschaft verstellt. Jetzt gilt es, uns zu reinigen, Kopf und Herz umzudrehen und dann, geläutert, vor die Menschen hinzutreten und zu bezeugen: Du bist von Gott angenommen, bejaht und geliebt. Nach dieser geläuterten, gereinigten Kirche kräht doch ein Hahn!
Impuls zur 5. Woche der Fastenzeit – “Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?” (Jes 43,19)
Annette Schavan, frühere Botschafterin beim Heiligen Stuhl, hat in einer Rede die „Insolvenzrhetorik beklagt, die derzeit allenthalben in der Kirche herrsche. In der Tat steht uns das Wasser bis zum Hals. Doch auch in dieser Situation kann ich wählen, ob ich schwimmen oder lieber untergehen würde. Das Team des Exerzitien- und Bildungshauses Spectrum Kirche um mich hat sich für Schwimmen und Überleben entschieden. Mag Vieles um uns herum absaufen, wir nicht, denn wir wollen wachsen. Utopisch? Mitnichten, denn seit diesem Entschluss im Jahr 2017 erleben wir live, wie manch Tradiertes untergeht, was ich nicht bedaure, scheint es sich doch überlebt zu haben. Ich erlebe aber auch, wie Neues wächst. Die Pandemie hat uns zwar eingebremst, doch der Zug ist wieder angefahren.
Kann Kirche noch überleben, ja kann sie gar nach allem, was übelriechend aufgedeckt wurde, neuen, gar betörenden Duft ausströmen? Sie kann es dann, wenn Menschen sich entschlossen und unaufgeregt in Wort und Gebet, in Liturgie und Tat zusammenschließen. Ganz entscheidend ist der Wille wachsen zu wollen. Bei manchen in der Kirche habe ich den Eindruck, dass sie sich längst für Agonie und Tod entschieden haben. Wir nicht, denn wir wollen wachsen. Und in der Tat wächst Neues, wächst die Gottesdienstgemeinschaft, wächst der Zuspruch zu philosophischen, theologischen und spirituellen Kursangeboten. Nicht sprunghaft, doch wahrnehmbar – wie Krokusse, die eben gerade mit dem Kopf durch die Schneedecke hervorlugen. Und so erleben wir, was der Herr dem Propheten Jesaja zugesagt hat: „Siehe, ich mache etwas Neues. Schon sprießt ihr, merkt ihr es nicht!?“
Impuls zur 4. Woche der Fastenzeit – “Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5,17)
Sie war aufs Äußerste erregt, als sie es mir erzählte. „Fast wäre ich aufgestanden und hätte die Kirche verlassen“, so sagte sie, „es war eine ungeheure Zumutung.“ Sie meinte damit die Sonntagspredigt des jungen Kaplans, der die Gemeinde eindringlich vor Sodomie gewarnt hatte. „Was glaubt der denn, wer wir sind, wie wir sind? Tiere statt Menschen?“ Mit einem Mal verstand ich, was Papst Franziskus in EVANGELII GAUDIUM schrieb: „Die einen leiden beim Zuhören der Predigt, die anderen beim Predigen. Es werden von Amtsträgern Fragen beantwortet, die seit langem keiner in der Gemeinde mehr stellt. Statt in der Predigt Hoffnung und Zukunft zu vermitteln, wird eine moralische Messlatte aufgelegt, an der selbst der Prediger scheitert. Auf diese Weise wurde manch einer aus der Kirche vertrieben und in der Folge heimatlos.
Mich lässt das fragen: Was verkünden wir als Kirche heute überhaupt? Ich hoffe, das Evangelium, das da in summa lautet: Jesus von Nazareth ist die personifizierte Liebe Gottes. Er hat übrigens nie moralisiert. Er hat ethische Grundsätze mit hohem Anspruch vertreten, aber er hat den Stab nicht unerreichbar hochgelegt und über niemanden den Stab gebrochen, nicht einmal über die Ehebrecherin. Vielmehr hat er in Wort und Tat bezeugt: Gott liebt einen jeden Menschen so, wie er ist; d.h. nicht, dass alles an uns Menschen gut wäre. Es entbindet uns nicht selbstkritisch zu reflektieren, an uns zu arbeiten und uns weiterzuentwickeln. Und wann, wenn nicht jetzt in der Fastenzeit, gäbe es eine bessere Gelegenheit hierzu? Er lädt uns ein, das alte Gewand ab- und ein neues Gewand anzulegen. Es ist Zeit für diese Art von Altkleidersammlung und Neueinkleidung.
Impuls zur 3. Woche der Fastenzeit – „Ich bin, der ich bin.“ (Ex 3,14)
„Was sage ich ihnen nur, wenn sie mich fragen, wer da zu mir gesprochen und mich beauftragt hat?“, so fragt Mose die Stimme aus dem brennenden Dornbusch. Die Antwort ist verblüffend: „Ich bin, der ich bin.“ Mit dieser seltsamen Formulierung offenbart Adonai seinem Volk Israel seinen Namen, seine Existenz, ja sein Wesen. Er bekundet Israel: Gott existiert. Und zwar konkret: mitten unter euch.
Eine Mischung aus Explosion, Erdbeben und Tsunami wütet in den deutschen Diözesen und wirbelt die Kirche gerade ordentlich durcheinander. Was keiner von uns je zu denken gewagt hätte, das erleben wir augenblicklich. Was Diener der Kirche eingebrockt haben, das wurde den Opfern zur Würgemahlzeit, das löffeln wir gerade eben aus: eine stark versalzene Suppe. Und manchmal hat man den Eindruck, der Herr hätte seine Kirche und uns mit ihr, sich selbst überlassen. Hat Gott sein Antlitz entsetzt von uns abgewendet? Das Ende dieser Form von Kirche, das Ende mancher Privilegien ist eingeläutet. Wir haben die Zeichen der Umkehr, die Gott für uns am Wegesrand aufgestellt hatte, mit deutscher Arroganz und der Ignoranz eines riesigen Apparates mit viel Geld im Rücken missachtet und zahlen nun einen hohen Preis dafür. Ich bin fest überzeugt: Mag diese Form von Kirche auch untergehen, ER lässt uns nicht allein, schon gar nicht im Stich. Wenn überhaupt auf jemanden Verlass ist, dann auf den, der mitten unter uns ist, dessen Name „Ich bin, der ich bin“ lautet und der seinen Sohn nach dem Karfreitag am Ostermorgen zu neuem Leben auferweckte.
Impuls zur 2. Woche der Fastenzeit – „Ahmt auch ihr mich nach!“ (Phil 5,17)
Mit der zweiten Lesung des zweiten Fastensonntags schenkt Paulus den Philippern und uns ganz ordentlich ein. Was er dort in Bezug auf eine übergroße Sorge für den Leib, auf neudeutsch „bodyculture“, warnend sagt – „Ihr Ende ist Verderben, ihr Gott der Bauch, ihre Ehre besteht in ihrer Schande, Irdisches haben sie im Sinn.“ – das gilt auch in einem übertragenen Sinn für uns heute.
„Schande“ und „Verderben“ brachen eben über unsere Kirche mit dem Münchner Gutachten herein und dieser Prozess wird andauern, solange Jahr um Jahr stets neue Gutachten von Diözesen präsentiert werden, anstatt alle auf einmal zu veröffentlichen. Wer möchte da noch in den Pfarreien mitarbeiten, wer sich ehrenamtlich engagieren? Worin besteht die Schande, worin das Verderben? Darin, dass Kirche seit dem 19. Jahrhundert vielfach Moral, statt das Evangelium verkündet hat. Darin, dass die Moralapostel den Menschen in Predigt, Katechismus, Religionsunterricht und vor allem im Beichtstuhl Lasten auferlegt haben, die sie selbst nicht zu tragen bereit waren. Wenn heute das Sakrament der Versöhnung, die Beichte, fast tot ist, dann liegt das auch an jenen Lastenauferlegern, die vielen Menschen das Leben unerträglich gemacht haben; das lassen sich die Menschen nicht mehr gefallen – zurecht! Dabei wäre gerade die Beichte eine ungeheure Chance zu Versöhnung und Neubeginn.
„Ahmt auch ihr mich nach“, schreibt Paulus. Worin sollen wir Paulus nachahmen? In der Umkehr. Die wahrlich schräge Biographie Pauli zeigt uns ein Dreifaches: Erstens: Es ist nie zu spät umzukehren Zweitens: Damaskus kann überall sein. Drittens: Wer umkehrt, wird vom Hirten liebevoll aufgenommen, wie das verloren geglaubte Schaf, das sich eben wiedergefunden hat.
Impuls zur 1. Woche der Fastenzeit – „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Lk 4,8)
Aus eigener Erfahrung wissen wir: Nur dort bewegt sich etwas in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Sport und Kirche, wo Menschen mit dem nötigen Fachwissen, persönlichem Einsatz, und vor allem mit Charisma und Ausstrahlung ans Werk gehen. Ehrgeizige Sportler, Politiker, die Klartext reden, ehrenamtlich Engagierte, glaubwürdige Prediger: sie alle bespielen eine Bühne, auf der sie öffentlich wahrgenommen werden. Wer da nur halbherzig ans Werk geht, wem es an Überzeugungskraft mangelt, der vermag nicht zu begeistern, der lockt keinen Hund hinter der Hütte des Lebens hervor.
Nur derjenige kann andere entflammen, der selbst Feuer und Flamme für die Sache ist. Wie wollen wir die Frohe Botschaft zu den Menschen bringen, wenn wir nicht selbst zutiefst von ihr berührt und ergriffen sind? Es geht dabei nicht um Perfektion, sondern um das redliche und ehrliche Bemühen, um das persönliche Zeugnis. VERBA MOVENT – Worte können Menschen durchaus bewegen, wenn sie aus ehrlichem Herzen kommen. EXEMPLA AUTEM TRAHUNT. Beispiele, gelebte, glaubwürdige Beispiele hingegen vermögen zu überzeugen.
Ich lade uns alle dazu ein, in dieser ersten Fastenwoche das eigene Gottesverhältnis einmal genau und kritisch zu betrachten. Habe ich noch einen Draht oder habe ich ihn schon vor längerer Zeit gekappt? Übe ich mich in Beziehungspflege? Was tue ich, um die Freundschaft mit Gott zu leben, zu intensivieren, um andere an meiner Freude am Herrn teilhaben zu lassen? Man wird uns nur in dem Maße Glauben schenken, als man unseren Eifer und unsere Leidenschaft für Gott erkennt.
Fastenimpuls zum Aschermittwoch – „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen!“ (Joel 2,12)
Selten war die Aufforderung des Herrn zur Umkehr, wie sie sich in der Lesung des Aschermittwochsgottesdienstes beim Propheten Joel findet, aktueller als in diesem Jahr. Wut und Zorn der Menschen, selbst treuer Katholiken, brechen sich angesichts stets neuer Enthüllungen Bahn und treffen mitunter auch jene, die sich tagein tagaus mühen, ihren pastoralen Dienst eifrig und gewissenhaft auszuüben. Manchmal meint man, in eine Art Zwangshaft genommen zu werden, während sich viele Täter, die jahrelangen Leiden der Opfer völlig ignorierend, ungestraft aus dem Staub gemacht haben. Angesichts dieser Misere sind sich viele einig: Es muss sich etwas ändern in der Kirche. Doch was genau? Ganz ehrlich: Nur mit dem Drehen an der Strukturschraube werden wir keine Wende schaffen! Wir müssen den Schalter in unseren Köpfen umlegen.
Auf die Frage, was sich denn in der Kirche sofort ändern müsse, um wieder glaubwürdiger zu erscheinen, antwortete Mutter Teresa einmal kurz und knapp: Sie und ich. Und genau daran hapert es. Gewaltig. Strukturreformen werden ohne Umkehr unseres Denkens und Handelns ins Leere laufen. Für eine gelingende Reform der Kirche gilt die Litaneien-artige Wiederholung eines bekannten Gebetes. „…und fange bei mir an“. Mit meiner Umkehr, mit meiner persönlichen Kehrtwende des Herzens und Denkens und Handelns steht und fällt nicht nur der Erneuerungsprozess der Kirche, sondern auch das gesellschaftliche Zusammenleben, das durch Hass, Hetze und Verrohung bedroht ist. Alles hat seine Zeit, sagt Kohelet im Alten Testament. Jetzt ist die Zeit der Umkehr, die Zeit, die Herzen zu zerreißen, wie Joel sagt. Jetzt ist höchste Zeit!
Quelle: Bistum Passau